My Baby Blue
Erfahrungsbericht zum LL.M.-Studium an der Columbia Law School (2023/2024)
Bei den ersten Schritten auf dem Campus wurde uns bange. Columbia war eine einzige Baustelle! Unter dem Gekreische einer sich in eine massive Steintreppe hineinarbeitenden Kreissäge schwirrte eine Schar von Greenkeepern umher und brachte Rasen und Beete in Form und Farbe. Auch die Law School war wegen Bauarbeiten geschlossen. Für all das Geld sollten wir auf einer Baustelle studieren?
So oder so ähnlich dachten auch zwei Kommilitoninnen, die ich bei einer ersten Campusrunde zufällig getroffen hatte, kurz vor Beginn unseres LL.M. an der Columbia Law School (CLS) Anfang August 2023. Was wir aber nicht wussten: Zu der Zeit sieht es an der Columbia immer so aus, um für den Semesterstart alles in beste Ordnung zu bringen. Und so begann unser Studium: Auf dem englischen Rasen eines filmreifen amerikanischen Campus‘, von dessen Kupferdächern Columbias babyblaue Banner wehten – ohne Baustellen.
Inhalt
Warum, Wann, Wie?
Aber warum war ich überhaupt zur CLS gekommen? Der Weg zum LL.M. und dann an eine konkrete Law School ist individuell. Meine Geschichte läuft von Kindheitserfahrungen mit nach NYC ausgewanderten Verwandten über die dadurch ausgelöste Neigung zur englischen Sprache mit Fokus auf Arbitration in Studium, Moot Courts und Promotion zum Campus zwischen Broadway und Amsterdam Avenue. Ich wollte unbedingt nach New York, denn „when you’re spending a year in the U.S., you might just go to where it’s all at“, wie mir ein Amerikaner sagte. Ich fand das immer sehr passend: New York hat einfach alles und davon auch noch das Beste. Ich wollte zudem unbedingt weiter Schiedsverfahrensrecht studieren und daneben neue, unbekannte Rechtsgebiete erkunden. Mit ihrem äußerst starken Arbitration-Angebot und der Weite und Tiefe des sonstigen Curriculums bzw. Lehrpersonals war CLS da die perfekte Wahl.
Weitere Aspekte, die für mich entscheidend waren: (i) internationaler Student Body mit 57 vertretenen Nationalitäten, (ii) Campus- und Volluniversität mit allen Studiengängen und umfangreichem Sport- und Kulturangebot, (iii) kein „Track“-System, stattdessen General LL.M. mit freier Kurswahl und Durchmischung der Studenten (auch mit J.D.s), (iv) gute internationale Reputation, (v) professionelle Selbstdarstellung der Uni.

Wann habe ich den LL.M. vorbereitet? Erste konkretere Gedanken kamen mir im Sommer 2021, die im Laufe des nächsten Jahres zu dem Entschluss reiften, es mit einer Bewerbung für die Class of 2024 zu probieren. Es geht auch mit weniger Vorlauf, aber die Vorarbeiten etwas abzuschichten und neben meiner Promotion zu managen, würde ich wieder so machen. Man hat so auch mehr Zeit, auf das Eintreffen von Dokumenten beim LSAC zu warten (Zeugnisse und Rankings auf Englisch, Letters of Recommendation) und mit offenen Ohren viele Informationen aufzuschnappen. LSAC steht für Law School Admission Council und meint das Portal, über das CLS (und die meisten anderen U.S.-Law-Schools) ihre Bewerbungsverfahren administrieren. Ein Großteil der Dokumente müssen von der jeweils ausstellenden Stelle direkt dorthin versandt werden. Für die Bewerbung an der CLS muss man dort auch ein Personal Statement und ein Bewerbungsformular, das u.a. per Essay zu beantwortende Fragen enthält, hochladen. Das gesamte Bewerbungsverfahren lief einwandfrei.
Näheres zum Formellen kann man am besten direkt bei der Law School nachlesen, nur beim Personal Statement ist man bewusst sich selbst überlassen. Je konkreter man die Motivation für die Bewerbung an der CLS erklären kann, desto besser. Das gibt darüber Aufschluss, ob und wie man das Studium tatsächlich angehen will. Das Schlüsselwort lautet Authentizität. Ich würde mit sinnvoll eingebundenen Anekdoten und Besonderheiten des eigenen Lebenswegs nicht geizen. Das ist zwar der für uns untypische American Style; in einem Beratungsgespräch aber, das ich nach dem Erhalt des Studienangebots wahrnehmen konnte, erinnerte sich meine Academic Advisor zuerst daran, dass ich eine Tante in New York und ein Praktikum am Metropolitan Museum absolviert habe. CLS erhält für den LL.M. schätzungsweise mehrere tausend Bewerbungen bei einer Zulassungsquote im einstelligen Prozentbereich. Da kann nur Spuren hinterlassen, wer Profil zeigt.

Let’s Talk Money – Studiengebühren, Essen, Wohnen
Trotz Columbia Blue darf man nicht blauäugig sein: Die Finanzen sehen bei einem LL.M. im Big Apple böse aus. Die amerikanischen Tuition Fees sind bekanntermaßen die höchsten der Welt: Total University Costs waren ca. 85.000 USD. Die Lebenshaltungskosten stehen dem in nichts nach: Für das Visum musste man ein Barvermögen von mindestens rund 115.000 USD nachweisen und die Einplanung eines Puffers empfiehlt sich. Die Kombination macht den LL.M. in New York zum teuersten der Welt. Zudem ist CLS bei der Gewährung von Nachlässen anders als andere Law Schools knauserig. Es gibt auch nur wenige subventionierte Fellowships, die zumeist auf thematische speziell ausgerichtete Studenten zugeschnitten sind. Eine große positive Überraschung aber gab es, nämlich montags bis donnerstags kostenfreies Frühstück mit Pastries, Früchten, Kaffee und Tee. Ebenso kann man sich fast jedes Mittagessen auf einer der von den Student Organizations organisierten Veranstaltungen abholen (Vorträge u.Ä.), bevor es dann nachmittags wieder kostenfreien Kaffee gibt. Das spart Geld und vereinfacht den Austausch innerhalb der Law School. Die klassische Mensa gibt es beim Columbia Dining nicht, sondern nur All You Can Eat für 16–18 USD. Wer gerade mittags keine Völlerei betreiben will, sucht lieber die umliegenden Delis, Bistros und Food Carts auf.
Bei der Wohnung half mir Columbia Housing mit einer an mich und zwei weitere LL.M.s untervermieteten WG. Der zuständige Sachbearbeiter der Law School war zwar heillos überfordert und kaum zu erreichen, aber es gelang dennoch, möglichst LL.M.s in WGs und Wohnungen zu „matchen“. Ich konnte mir so die Suche auf dem freien Markt ersparen, auf der man meist einen Credit Score haben oder einen Guarantor, einen Bürgen mit Social Security Number, bestellen soll. Das können die wenigsten Neuankömmlinge. Trotzdem sind die meisten auch ohne Columbia Housing gut zurechtgekommen; ich habe zwar von Kuriositäten und Enttäuschungen, aber nichts Drastischem gehört. Man findet zwischen 1.500–2.200 USD wohl eine Bleibe. Manche Kommilitonen bevorzugten es, „mittendrin“ und damit eher Downtown zu wohnen. Ich würde auf der Upper West Side bleiben und nicht nach Osten jenseits des Morningside Park (der nachts gefährlich sein soll) und nach Norden jenseits der 125th St gehen. Das Klima ist dort ein spürbar anderes als in Campusnähe, wo man viele bekannte Gesichter sieht und durch ständige Patrouillen von Public Safety, dem universitätseigenen Sicherheitsdienst, gut behütet ist. Shuttlebusse und -taxen runden das Angebot ab.

Das Studium
Das Veranstaltungsangebot der CLS ist umfangreich, anspruchsvoll und innovativ. Das betrifft Inhalte, die etwa auf aktuelle Ereignisse Bezug nehmen, wie Formate, die von klassischen Vorlesungen über Seminare (max. 20 Personen) zu Experiential Learning reichen (z.B. Negotiation Workshops, Clinics). Wie alle Law Schools steht auch die CLS unter Finanzierungsdruck, dennoch empfand ich die Fülle des Student Bodies nicht als unangenehm. In meinem Falle reichte die Anzahl an Kursteilnehmern von 6 bis ca. 70 Personen. Es gibt aber keine Garantie, dass man alle gewünschten Veranstaltungen auch belegen kann. Man wählt sie an der CLS während einer sog. Add-Drop-Period in der ersten Semesterwoche, in der man Probehören und dann online sechs Kurse priorisieren kann. Für diese Kurse bestimmt man je eine Alternative, falls es mit der ersten Wahl nicht klappt, also in Summe zwei Mal sechs Kurse. Zugang zu den auf eins gelisteten Veranstaltungen wird man mit hoher Wahrscheinlichkeit erhalten. Bis auf einen habe ich alle Wünsche umsetzen können. Man kann zudem versuchen, einen Professor persönlich um die Aufnahme in eine Veranstaltung zu bitten.
Die Arbeitslast war recht schwer. Die Aufnahme großer Mengen an Lesestoff ist zu Beginn etwas ungewohnt und soll zur Differenzierung von Wichtigem und Unwichtigem anhalten, so wie es in Deutschland in den Examensklausuren gefordert wird. Manchmal fühlte sich ein Reading wie eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme an. Wie arbeitsintensiv man den LL.M. gestalten will, kann man aber selbst entscheiden. Mit dem Bare Minimum kommt man wohl im Durchschnitt mit einer Vier-Tage-Woche zurecht, verpasst aber viel Interessantes, etwa die Mitarbeit im Journal, als Research bzw. Teaching Assistant oder in einer Student Organization. Das Beste ist ein bunter Mix aus allem, also sowohl der Durchmischung der Veranstaltungsformate (Vorlesungen, Seminare, Reading Groups, …), als auch der Extra Curriculars. Die Academic Advisors raten einhellig dazu, sich eher am Credit-Minimum als Maximum zu orientieren.
Die Lehrveranstaltungen selbst vergingen wie im Flug. Sokratic Method, Cold Calls, Roll Calls, Experimential Learning … Hier war wirklich alles dabei. Zudem ist der Werdegang der Lehrkräfte völlig unterschiedlich, was ebenfalls zu Abwechslung führt. Am besten gefallen hat mir die hohe Qualität der Kurse, die auch von den Bänken her kam: An der CLS kann in der Regel nur den LL.M. machen, wer zwei Jahre Berufserfahrung hat (Referendariat und wissenschaftliche Mitarbeit zählen). Und die J.D.s tragen mit ihrer Allgemeinbildung aus dem Undergraduate Degree häufig interdisziplinäre Blickwinkel dazu. Getrübt wurden vor allem die letzten Wochen des LL.M.s durch die ausufernden Gaza-Proteste an der Columbia. Aber nur der letzte Vorlesungstag wurde auf Zoom verlegt und die dann zuhause zu schreibenden Exams waren sowieso meist „Open Book“. Am schwersten wog noch, dass einmal Prüfungen verschoben wurden und unsere Graduation Ceremony auf dem Sportcampus stattfand. Das war unschön, mich hat aber am meisten die emotionale Unsachlichkeit der Auseinandersetzungen gestört.

Auch mal blau machen – Was man sonst noch in New York erleben kann
Wer nur auf dem Morningside Campus bleibt und sich die Stadt nicht ansieht, macht etwas falsch. Sportbegeisterte locken gleich zu Beginn des Fall Terms die US Open (Tennis, Queens), kurz darauf die Knicks oder Nets (Basketball, Madison Square Garden bzw. Brooklyn) oder die Mets oder Yankees (Baseball, Queens bzw. Bronx). Bei den Rangers (Eishockey, Madison Square Garden) ist es deutlich teurer. Auch in der Kultur gibt es vom Besten gleich eine ganze Auswahl: MetOpera, Carnegie Hall, MetMuseum, MoMA, Guggenheim oder Whitney locken mit besonderen (Studenten-)Angeboten; in den Chelsea Galleries ist der Eintritt frei, ebenso wie bei öffentlichen Konzerten von Harlem Jazz im Bryant Park bis Techno im Von King Park. Das Schönste daran ist, dass man all dies mit weltoffenen Kommilitonen entdecken kann. Ich erinnere authentisches Hotpot-Essen mit chinesischen Kommilitonen in Flushing (Queens) – gekochten Entendarm brauche ich allerdings kein zweites Mal –, oder Spring Break mit den Südamerikanern auf Puerto Rico. Man sollte aber auch Kontakt zu Amerikanern aufbauen und mehr von ihrem Land sehen, angefangen mit einem Day Trip Richtung Upstate New York, Boston oder D.C. Und vielleicht lädt ja eine Großkanzlei zum Recruiting-Event gen Westen ein. By the way: An der CLS gibt es einen optionalen „J-Term“ in der zweiten Januarwoche. Wer den nicht absolviert, hat nach der Weihnachtszeit in Deutschland noch knapp zwei Wochen, um sich andernorts auf dem amerikanischen Kontinent umzusehen …

The special love I have for you
Die Zeit an der CLS war im wahrsten Sinne des Wortes beeindruckend und ich denke gerne an sie zurück. Um es mit Badfinger zu sagen:
“Guess I got what I deserved
Kept you waiting there too long, my love
All that time, without a word
Did you really think that I’d forget
And regret
The special love I have for you
My baby blue.”
(Baby Blue, Badfinger, 1971)
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