Die beste Zeit deines Lebens?!

Erfahrungsbericht zum LL.M.-Studium an der Cornell Law School (2021/2022)

Veröffentlicht am 1.3.2023

Maximilian T. Zobel, LL.M. (Cornell)

Associate bei Cravath, Swaine & Moore LLP in London

Vor dem LL.M. habe ich oftmals gehört: „Das war das beste Jahr meines Lebens“. Ich war immer etwas skeptisch, da ich schon eine verdammt gute Unizeit in Deutschland hatte und das nun sogar getoppt werden soll? Nach zehn Monaten (mit Bar Exam sogar ein ganzes Jahr) in Ithaca kann ich besten Gewissens bestätigen: Das war das beste Jahr meines Lebens!

Inhalt

Fachlich

Insgesamt hat das LL.M.-Programm an der Cornell University zehn Monate gedauert. Nachdem das erste Semester (August bis Dezember) einige Neuheiten mit sich bringt, die man aus Deutschland nicht gewohnt ist, fühlt man sich im zweiten Semester (Ende Januar bis Mai) schon wie ein „alter Hase“. Das gilt insbesondere für die Kurswahl und das damit verbundene losbasierte Bidding-System. Während sich das im ersten Semester noch als Rätsel darstellt, weiß man beim zweiten Mal besser damit umzugehen und kommt somit auch eher in die Vorlesungen, die man wirklich besuchen will. Ich würde empfehlen, vor dem Beginn des ersten Semesters mit einem Alumnus in Kontakt zu treten, um ein wenig Einblicke zu gewinnen, wie die Kurswahl funktioniert. Es bietet sich generell an, sich mit anderen auszutauschen – vielleicht kennt der eine oder andere einen Professor oder hat Gutes von ihm gehört. Schade ist, dass nicht alle Vorlesungen gleichermaßen in beiden Semestern angeboten werden, sodass man sich mit Hilfe der Vorlesungsverzeichnisse der Vergangenheit einen Überblick erarbeiten sollte, um sich frühzeitig zu überlegen, welche Kurse man besuchen will.

In fachlicher Hinsicht ist das Kursangebot grundsätzlich sehr gut. Es ist für jeden etwas dabei – ob man sich gerne auf Völkerrecht, Strafrecht oder Gesellschaftsrecht fokussieren will, jeder wird bedient. Viele Vorlesungen werden von Professoren gehalten, die entweder Praktiker sind oder aus der Praxis kommen. Das war auch ein Grund, weshalb ich mich für Cornell entschieden habe: Die Professoren haben einen starken praktischen Hintergrund, sind Partner in großen amerikanischen Kanzleien und Koryphäen auf ihrem jeweiligen Gebiet. Selbst wenn das Angebot für den einen oder anderen nicht herausragend wirken mag, so sind die angebotenen Veranstaltungen qualitativ jedoch äußerst hochwertig und bessere Einblicke in die Praxis wird man wohl kaum erhalten.

Blick vom Clocktower über den Campus
Blick vom Clocktower über den Campus

Man muss sich bewusst sein, dass die Herangehensweise an einen Fachbereich in den USA, zumindest nach meiner Erfahrung, anders als in Deutschland ist: Man beginnt nicht mit einem allgemeinen Teil, auf den man wie einen Baukasten zurückgreifen kann, und arbeitet sich dann zum speziellen Teil vor. Es gibt allerdings keine einheitliche Herangehensweise. Vielmehr setzt jeder Professor andere Schwerpunkte und baut seinen Curriculum meines Erachtens nach eigenen Präferenzen auf. Auch wenn Lehrbücher oftmals einem ähnlichen Schema folgen, werden zwei Professoren das gleiche Thema auf zwei ganz unterschiedliche Weisen darstellen. Dies erachte ich nicht als einen negativen Aspekt des Lernens, allerdings bietet sich insofern wieder an, auf den Erfahrungsschatz der Alumni und Kommilitonen zurückzugreifen. Es ist schwierig, dies vorherzusehen, aber die beste Möglichkeit ist, sich zu Beginn des Semesters (was allerdings für viele beliebte Kurse schon zu spät sein kann) den Syllabus des Professors im Detail anzusehen und dadurch ein Bild zu bekommen, wo er während des Semesters „hin will“. Die akkurate Planung des Vorhabens ist dadurch logischerweise stark erschwert, als jemand, der als Neuankömmling keinen Professor kennt, sogar fast unmöglich. Insofern kann ich jedem nur wärmstens empfehlen, alle Hilfe, die man von Kommilitonen erhalten kann, in Anspruch zu nehmen: Informiert euch, wer welchen Professor kennt, ob er „gut“ ist, und worauf er Wert legt.

Wenn man ein vertieftes Interesse an einem bestimmten Thema hat, vielleicht vor dem Hintergrund einer Dissertation, bietet es sich neben Vorlesungen an, ein Seminar zu besuchen, und dann eine Arbeit hierüber anzufertigen – in diesen Fällen stehen die Professoren mit ihrem Fachwissen und ihrem Rat stets zur Verfügung.

Generell ist die amerikanische Universitätsveranstaltung sehr verschult. In dieser Hinsicht ist Cornell nicht anders als andere Universitäten. Insofern möchte ich dieses Thema nur kurz anschneiden – wenn ein Professor sagt: „Fragt, wenn ihr etwas nicht versteht“, „Kommt in meiner Sprechstunde vorbei“, „Bleibt in Kontakt“, dann meint er es tatsächlich ernst. Die kleinen Gruppen geben dem Ganzen eine sehr persönliche Note. Professoren und Studenten grüßen sich auf dem Gang, es gibt einen geplanten Lunch mit Professoren und selbst heute bin ich noch in Kontakt mit Professoren. Hiervon sollte man Gebrauch machen.

Persönlich

In persönlicher Hinsicht war das Jahr einfach klasse. Die LL.M.-Klasse in Cornell ist mit ca. 100 Studenten vergleichsweise klein. Dies macht die ganze Erfahrung noch viel persönlicher als etwa an Universitäten mit 400 LL.M.-Studenten. In den ersten beiden Wochen gibt es eine Einführung in das amerikanische Rechtssystem, bei dem man beste Gelegenheit hat, seine Kommilitonen kennenzulernen, sich auf ein Kaltgetränk zu treffen und sich dabei auszutauschen. Schnell wird man feststellen, dass es nicht nur eine Mehrzahl an verschiedenen Herkunftsländern gibt, sondern insbesondere auch eine Vielzahl an persönlichen Hintergründen. Der Kreis meiner Kommilitonen bestand aus gerade erst graduierten 20-Jährigen, Richtern aus Südostasien, Syndikusanwälten aus Japan, Associates und Partnern in südamerikanischen Kanzleien und, und, und … Die enge Verbundenheit der Studenten untereinander, die durch die kleine Größe entsteht, und die verschiedenen Hintergründe haben diese Erfahrung deutlich geprägt. Ich habe Freunde fürs Leben gefunden, bin bereits jetzt sechs Monate nach dem LL.M. für Hochzeiten um die ganze Welt gereist, habe Freunde in New York wieder getroffen und in Deutschland empfangen dürfen. Die verschiedenen Hintergründe eröffnen auch ganz neue Perspektiven: Während Ramadan haben unsere muslimischen Freunde zum gemeinsamen Fastenbrechen eingeladen und zu diversen Feiertagen haben unsere kolumbianischen Freunde eine Party mit traditionalem Essen veranstaltet. Ich kann gar nicht jedes Event aufzählen, aber unterm Strich war es einfach eine pure Bereicherung!

Gruppenbild am Tag der Graduation im Hof der Law School
Gruppenbild am Tag der Graduation im Hof der Law School

Abgesehen von den persönlichen Verbindungen, die man aufbaut, bietet Cornell unzählige Möglichkeiten an, sich aktiv in Clubs einzubringen – ob es nun der Debattierclub, A-cappella-Club oder eine sonstige körperliche Betätigung sein soll, es ist für jeden etwas dabei.

Die Ivy-League-Sportevents sind ebenfalls eine super Erfahrung. Während Cornell (wie alle Ivy-League-Teams) nicht für die Qualität des Sports bekannt ist, sind diese Sportereignisse, insbesondere Homecoming, trotzdem ein großes Ereignis, für das Alumni von überall im Land angereist kommen, BBQs vor dem Stadion veranstalten und unser „Big Red“-Team feiern. In sportlicher Hinsicht sticht jedoch unser Ice-Hockey-Team hervor, das seit Jahren zu den landesbesten Teams gehört, sodass das Stadion immer randvoll ist, die Stimmung brodelt und es eigentlich auch immer einen Sieg zu feiern gibt! Ein absolutes Highlight.

Homecoming, September 2021
Homecoming, September 2021

Ithaca und der Campus

Wer sich noch nicht damit beschäftigt hat, wo Cornell eigentlich liegt, der sollte das tun. Die Cornell University liegt im wunderschönen Upstate New York in der kleinen Stadt Ithaca. Auf einem kleinen Berg thront die Universität, die flächenmäßig wahrscheinlich ungefähr die Hälfte der Stadt selbst einnimmt. Von New York ist es eine vierstündige Fahrt nach Ithaca mit dem Auto oder dem Bus (Flixbus!). Man verlässt das pulsierende New York City und betritt das beschauliche und sehr ruhige Ithaca. Es ist ganz klar, dass das nicht für jeden das Wahre ist – wer 24/7 Unterhaltung sucht und eine Stadt, die niemals schläft, der ist in Ithaca falsch. Wer eine gemütliche Studentenstadt zu schätzen weiß, die einen einzigartigen Charme versprüht, wer die Natur liebt und kein Problem damit hat, dass manche Läden erst um 9 Uhr öffnen, der ist in Ithaca genau richtig.

Der Campus der Uni ist wunderschön. Ich habe Freunde zu Besucht gehabt, von anderen US-Universitäten oder die einen Roadtrip an der Ostküste gemacht haben und hierbei einige andere Unis gesehen haben, und alle waren sich einig: Cornell hat den schönsten Campus! Der einzigartige Neu-England-Stil, die historischen Gebäude, deren Würde und Stolz man spüren kann, der Glockenturm, der am Ende einer Allee sitzt und über den Campus wacht, die weiten grünen Flächen, die im Sommer zum Lernen, Spielen, Picknicken einladen … ein Traum! Es gibt so viel auf dem Campus zu erleben, dass es schwierig ist, das alles in einen kurzen Bericht zu packen. Highlights, die zu nennen sind, umfassen unter anderem die Uris Bibliothek, in der man denkt, in einem Harry-Potter-Film zu sein, und die Vorführung des Glöckners, für die man den Glockenturm hochgeht, von wo man einen einzigartigen Blick über den Campus und über den See hat. Interessant ist auch, dass es eine Gehirnsammlung (ja, Gehirnsammlung!) auf dem Campus gibt. Man sieht also, es gibt so viel zu erleben! Alleine der Weg zum Campus kann ein Erlebnis sein – so sollte man von der Stadt aus den Cascadilla Gorge Trail nehmen, der einen entlang einer der vielen Schluchten (oft wird man wegen der vielen Schluchten lesen: „Ithaca is gorgeous“) bis hoch zur Law School führt – wahnsinnig idyllisch, direkt am Wasser, mit mehreren Wasserfällen, im Sommer allerdings etwas heiß.

Cascadilla Gorge Trail kurz vor der Law School
Cascadilla Gorge Trail kurz vor der Law School

Außerhalb des Campus gibt es auch in Ithaca viel zu erleben. Wie erwähnt, die Natur ist sehr prachtvoll. Dadurch dass Ithaca etwas abseits des New Yorker Getummels ist, ist es sehr ruhig. Man kann die Natur sehr gut genießen, z.B. bei einer Wanderung entlang eines der acht großen Wasserfälle in der näheren Umgebung. Außerdem gibt es einen See, auf dem man Segeln, Rudern, Stand Up Paddling oder sonstigen Wassersport betreiben kann. Es werden auch im Sommer Sportkurse angeboten, die man als Classes wahrnehmen kann, z.B. Segeln. An einem Wochenende bietet es sich darüber hinaus an, auf den Farmers Market direkt am See zu gehen: Frisches Obst und Gemüse, lokale Fleischprodukte, internationale Küche für das Mittagessen und eigentlich immer Livemusik von lokalen Künstlern. Entspannter kann ein Sonntagmorgen eigentlich kaum sein.

Manch einer wird sich vielleicht fragen, ob man ein Auto braucht, schließlich ist es immer noch Amerika und Amerikaner laufen nicht gerne. Das ist richtig, allerdings gibt es in Ithaca viele Möglichkeiten, die ein Auto überflüssig machen: Es gibt Carsharing-Dienste, günstige Uber, aber insbesondere die Anbieter Doordash und IthacaToGo, die alles liefern, was man brauchen könnte (oder nicht braucht).

Fazit

Das Jahr in Ithaca und an der Cornell University war einzigartig und ich würde es immer wieder machen! Ich kann jedem nur wärmstens ans Herz legen, den LL.M. an der Cornell University zu absolvieren.

First Dam
First Dam

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