Home | LL.M.-Erfahrungsberichte Niklas Jahn: Cornell Law School (2022/2023)

„Sämtliche Strapazen der Bewerbungsphase mehr als wert“

Erfahrungsbericht zum LL.M.-Studium an der Cornell Law School (2022/2023)

Veröffentlicht am 11.8.2023

Niklas Jahn, LL.M. (Cornell)

Maximilian Zobel hat an dieser Stelle bereits vor einigen Monaten ausgiebig über seine Erfahrungen an der Cornell Law School im akademischen Jahr 2021/2022 berichtet. Der vorliegende Erfahrungsbericht soll sich nun insbesondere einigen weiteren (Rand-)Punkten widmen, die für mich während meines Aufenthalts von besonderer Bedeutung waren und einige andere mehr oder weniger überraschende Dinge und Kleinigkeiten hervorheben, die meines Erachtens ausdrückliche Erwähnung verdienen, da sie insgesamt die Zeit sehr stark prägten. Negative Gesichtspunkte – die es selbstverständlich auch gab – sollen dabei allerdings nicht ausgespart bleiben. Insgesamt soll dem Leser bei Gesamtbetrachtung beider Berichte ein möglichst authentisches und ausbalanciertes Bild von Ithaca und der Cornell Law School vermittelt werden, das für (potentielle) Bewerber eine gute Grundlage für eine informed decision schafft. Gleichwohl soll sich jeder Interessierte (nach wie vor) angesprochen fühlen, Alumni zu kontaktieren.

Schließlich möchte auch ich schon zu Beginn des Berichts betonen, dass das vergangene Jahr sicherlich eines meiner besten war! Ich bin dementsprechend mehr als glücklich, dass ich dieses Projekt allen Hindernissen zum Trotz, die insbesondere Bewerbern, die zum Zeitpunkt der Bewerbungsfrist, d.h. ca. Mitte Dezember, die Erste juristische Prüfung noch nicht vollständig abgeschlossen haben, allen voran vom LSAC (der zentralen Plattform für Bewerbungen in den Staaten) aber teils auch von den zuständigen deutschen Prüfungsämtern in den Weg gelegt werden, realisieren konnte. Auch der mit der Erfüllung der formalen Bewerbungsvoraussetzungen (Empfehlungsschreiben, TOEFL etc.) und mit der Frage der Finanzierbarkeit verbundene Aufwand ist wirklich nicht zu unterschätzen. Aber in der Nachschau kann ich nur sagen: Totally worth it!

Inhalt

Fachlich

Der Master an der Cornell Law School dauert etwa zehn Monate, konkret von August bis Mitte Dezember (fall term) bzw. von Ende Januar bis Mitte Mai (spring term). Das fall term beginnt ausgesprochen früh schon in der zweiten Augustwoche, wobei in den beiden ersten Wochen ein Einführungskurs („Introduction to American Legal System“) (2 credits) stattfindet, der – jedenfalls bei uns im akademischen Jahr 2022/2023 – in einer remote abgenommenen Klausur am Sonntagmorgen (!) gipfelte. Mehr als fragwürdig, ob das wirklich so sein muss – darüber konnten wir aber spätestens im Anschluss nur schmunzeln, da die Anforderungen dann doch sehr überschaubar waren. Die ersten Wochen eigneten sich zuvörderst dazu, eine Menge neuer Leute, den Campus und Ithaca kennen zu lernen. Der Fokus sollte sicherlich nicht auf den readings für den Kurs liegen, mag der Professor auch noch so sehr einen entsprechenden Eindruck vermitteln. Rückblickend würde ich es persönlich getrost noch deutlich laxer angehen.

Cornell Law School
Cornell Law School

Das für die Kurswahl relevante Bidding-System ist meiner Ansicht nach hingegen kaum der Rede wert. Jeder Student erhält x points, die nach Gusto auf n Kurse verteilt werden können; die Law School erstellt sodann eine „Rangliste“ auf Basis derer zugeteilt wird. Es gilt daher schlicht die Faustregel „The smaller the course, the more bidding points“. Soweit mir bekannt, gab es hier lediglich in einem einzigen Fall im zweiten Semester Schwierigkeiten bei der Kurswahl. Der Betroffene hat seine gewünschten Kurse letztlich aber dennoch erhalten. Zur weiteren Illustration: Als sich einige von uns beispielsweise auf der Warteliste für den Kurs „Private Funds“, der zunächst als kleines Seminar konzipiert war, wiederfanden, wurde die Teilnehmerbegrenzung (wenn auch auf mehrfache Anfrage) schlicht aufgehoben! Allgemein hatte ich den Eindruck, dass für jedes Problem auch äußerst pragmatisch eine Lösung gefunden wird. Von dem in Deutschland an den Universitäten sicherlich weitestgehend vorherrschendend Bürokratismus und Formalismus fehlt an der Cornell Law School jede Spur.

Speziell im Hinblick auf die Kurswahl bietet es sich aus zweierlei Gründen an, Alumni des vergangenen Jahres anzusprechen: Zum einen können diese besser einschätzen, welche Veranstaltungen besonders empfehlenswert sind. Zum anderen ist darauf zu achten, dass nicht jedes Semester jeder Kurs angeboten wird und teilweise ein Kurs aus dem ersten Semester „pre-requisite“ für Kurse im zweiten Semester ist (so beispielsweise „Business Organizations“ für „M&A“, jeweils Prof. Whitehead). Oft genügt es allerdings auch, wenn ein Kurs gleichzeitig belegt wird („co-requisite“).

Auch strukturiert der Professor den Kurs oftmals gänzlich nach eigenem Belieben. Die Kursinhalte decken sich nicht unbedingt mit den gemeinen Erwartungen der Studenten. Trotz „Warnung“ eines Alumni hat mich überrascht, dass sich Prof. Whitehead im Kurs „Securities Regulation“ letztlich lediglich dem Primärmarkt widmet. Der Sekundärmarkt, das gesamte Marktmissbrauchsrecht inklusive sämtlicher Aspekte des Insiderrechts etc. spielten, wenn überhaupt, nur eine sehr untergeordnete Rolle. Ein „Anspruch auf Vollständigkeit“ ist allgemein eher nicht zu erkennen. Das hat meiner Ansicht nach aber auch sein Positives, da es doch gerade die besonders abstrusen oder sonderbaren Fälle waren, die sich dann als ausgesprochen spannend herausstellten und (jedenfalls bis dato) in Erinnerung geblieben sind. Man möge mir gerne einen deutschen Fachbereich Kapitalmarktrecht präsentieren, der sich mit seinen Studenten in einer Schwerpunktveranstaltung inhaltlich mit total return swaps auseinandersetzt. Um „böse Überraschungen“ zu vermeiden, hilft auch ein kurzer Blick in den „syllabus“, der zu gegebenem Zeitpunkt auf der Website zugänglich gemacht wird. Dort werden die verschiedenen Inhalte und Ziele der Veranstaltung jedenfalls in Kürze zusammengefasst.

LL.M.-Absolventen mit Professor Whitehead – „King of Lawyers“
LL.M.-Absolventen mit Professor Whitehead – „King of Lawyers“

Ich für meinen Teil, der Leser mag es erahnt haben, habe ein besonderes Interesse für das Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht. Gleichgesinnten kann ich vor allem die Veranstaltungen „business organizations“ (entspricht dem Kapitalgesellschaftsrecht) und „securities regulations“ (Kapitalmarktrecht) von Prof. Whitehead ans Herz legen (die Veranstaltungen von Awrey und Omarova sind auch sehr gut!). Dieser Mann, der (vielleicht zurecht) nicht oft genug betonen kann, dass er einst bei Salomon Brothers gearbeitet hat, ist eine lebende Legende und immer für einen Scherz gut. Gerade im Bereich des Kapitalmarktrechts ist er eine der prägenden Personen in den USA. Weil er aktuelle Entwicklungen im Bereich securities/M&A sehr gut im Blick hat, finden diese sich ggf. auch spontan in seinen Kursen wieder: Wir haben uns zum einen mit einem Paper zu SPACs beschäftigt, das in der Szene für Aufsehen gesorgt hat, und es sogar in eine Edition von „money stuff“ (Matt Levine) geschafft hat. Und nachdem Johnson & Johnson – einhergehend mit breiter Berichterstattung in der UK/US-Presse – mit ihrem „texas two-step“ (eine Strukturmaßnahme, die letztlich vor allem zulasten der Gläubiger geht) vor Gericht gescheitert sind, wurde die Entscheidung unmittelbar im Anschluss behandelt. Teilnehmern in den ersten Reihen bietet sich zudem ein ganz besonderer Anblick – so viel sei verraten.

Hin und wieder hält er auch eine durchaus praktisch orientierte Vorlesung mit dem Titel „M&A“. Diese hat nach meinem Empfinden gegenüber „Bus Org“ allerdings nicht allzu viel Mehrwert geboten – insoweit würde ich hiervon eher abraten und die Zeit/credits besser in einen anderen Kurs investieren. Alle seine Kurse finden an vier Tagen pro Woche à 55 Minuten statt und bringen 4 credits. Der Arbeitsaufwand ist dementsprechend, jedenfalls wenn man den Anspruch hat, dem Geschehen zu folgen, nicht zu unterschätzen. Ich kann aber versichern, dass sich die Arbeit lohnt – die Lernkurve ist recht steil. Die Klausuren sind aus der Sicht eines deutschen Juristen – Securities Regulation, da bei Prof. Whitehead unfassbar technisch, mal ausgeklammert – mit einigem überschaubarem Aufwand sehr gut machbar.

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Persönlich

Das LL.M.-Programm an der Cornell Law School umfasst etwa 130 Studenten aus aller Welt. Die Kollegen sind zwischen Anfang 20 und Mitte 30 Jahre alt und befinden sich beruflich wie privat in den unterschiedlichsten Lebensphasen. Es sind vor allen Dingen diese Menschen, die dieses Jahr tatsächlich so wertvoll machen. Die eher kleine Fakultät trägt sicherlich dazu bei, dass über das Jahr hinweg sehr viele Kontakte geknüpft werden können und enge Freundschaften entstehen. Allgemein ist die Atmosphäre in der Fakultät sehr persönlich. Mit den J.D.s (d.h. den amerikanischen Studenten) hat man überraschend viel zu tun, wenn man hierfür offen ist. In vielen Gesprächen mit LL.M.s anderer Universitäten hat sich hingegen herausgestellt, dass das nicht überall der Fall ist!

Die freitäglichen Veranstaltungen am „Big Red Barn“, einem Häuschen, in dem zwischen 16 und 19 Uhr Bier und Wein für einen „nominal price“ ausgeschenkt wird, bieten zudem die einmalige Gelegenheit, mit graduate students aus den anderen Fakultäten in Kontakt zu kommen. Donnerstags hingegen führt (für Juristen) an Karaoke kein Weg vorbei. Wer sich wundert, warum mittwochs auf dem gesamten Campus so viele Studenten mit einem kleinen Köfferchen unterwegs sind: Das ist auf einen Kurs der Hotel-Management-Fakultät zurückzuführen. Diese wöchentliche Weinverkostung ist sicherlich auch eine weitere gute Option, um in Kontakt mit Amerikanern und Leuten aus anderen Fachbereichen zu treten.

Weiterhin kann mit den Juristen und/oder den MBAs nach Bedarf wöchentlich Fußball gespielt werden (organisiert wird das Ganze über WhatsApp-Gruppen) und die Law School hat im Keller gar einen squash room, wobei Schläger – ernst gemeint (!) – in der Bibliothek ausgeliehen werden können. Hiervon haben wir freilich mehr als reichlich Gebrauch gemacht.

Davon abgesehen, ist an der Law School und v.a. auf University-Ebene allgemein praktisch jede association vertreten, die man sich nur vorstellen kann. Das Spektrum reicht von Seglern bis Reptilienliebhabern.

Uris Library, im Hintergrund Cayuga Lake
Uris Library, im Hintergrund Cayuga Lake

Ithaca und der Campus

Meine Wahl fiel letztlich auch deshalb auf die Cornell Law School, weil mich eine kleine, typisch amerikanische College-Town besonders reizte. Gegen die Typizität spricht – zum Glück – aber, dass der Nahverkehr mit Bussen sehr gut geregelt ist, und zwar insbesondere die Strecke Downtown – Law School. Schließlich war einer der Hauptbeweggründe für den LL.M. „die Leute“ – böse Zungen fragen „was bleibt auch sonst?“. Man sollte sich vor der Bewerbung/Einschreibung intensiv mit der Stadt und ihrer Lage auseinandersetzen. Meines Erachtens ist es nahezu ausgeschlossen, dass Bewerber hier fachlich nicht auf ihre Kosten kommen. Wer aber das Leben in einer (Groß-)Stadt sucht und wem eine grenzenlose Vielfalt an Restaurants und Freizeitaktivitäten wichtig ist, sollte sich dreimal fragen, ob Ithaca das Richtige ist.

Bewusst habe ich mich nicht dazu entschieden, in Collegetown, d.h. der Wohngegend in unmittelbarer Nähe zum Campus/der Law School, zu wohnen. Dort finden insbesondere in den ersten Wochen bekanntermaßen überall block parties statt. Insoweit sollte man sich sehr genau überlegen, ob man die undergrads direkt vor der Haustür haben will, oder ob es nicht genügt, mit diesen als „Gast“ Bekanntschaft zu machen (unbedingt machen!). Meine Wahl fiel daher auf eine Wohngemeinschaft in Downtown (konkret: S Geneva St). Verschiedene Buslinien verbinden Downtown mit dem Campusgelände, wobei insbesondere die Law School sehr gut und innerhalb von 10–20 Minuten zu erreichen ist. Downtown bietet den Vorteil, dass es dort einige Bars, Restaurants und Cafés gibt, die auch typischerweise eher von den graduate students angesteuert werden. Die letzten Wochen während des bar prep (der Vorbereitung auf das New York Bar Exam) habe ich schließlich als Untermieter in Maplewood zugebracht – einem privaten, high-end Studentenwohnheim mit Fitnessstudio und 24/7-Starbucks-Kaffeemaschine. Beide Entscheidungen würde ich auch erneut so treffen, wobei insbesondere Maplewood in ruhiger Lage und mit Klimaanlage perfekt für die Wochen der Examensvorbereitung war.

Der Campus selbst ist schlicht wunderschön! Wir sind während des Jahrs ganz gut in den USA rumgekommen – dennoch würde ich guten Gewissens behaupten, dass ich keinen Campus gesehen habe, der hier mithalten könnte. Es gibt dort Wasserfälle und Grünflächen und auch nach Monaten entdeckt man noch Neues. Absolventen aller Disziplinen machen ihre Abschlussfotos regelmäßig an der Law School, die nicht nur innerhalb des Campus gut gelegen, sondern auch in ästhetischer Hinsicht am eindrucksvollsten ist.

Ithaca liegt in Upstate New York – in der sog. „Finger Lakes Region“. Der Blick auf die Karte verrät direkt, woher der Name kommt. An den Lakes befinden sich viele Weingüter. Es bietet sich an, diese mit einem Mietwagen auszukundschaften und diverse Winetastings zu machen. Allein die Fahrt am Senecca Lake entlang ist etwas fürs Auge! Auch sunset cruises auf dem Cayuga Lake (der See, der unmittelbar an Ithaca grenzt) sind sehr gute Möglichkeiten, um die schöne Natur um Ithaca zu genießen.

Sunset cruise auf dem Cayuga Lake
Sunset cruise auf dem Cayuga Lake

Ithaca ist in gut vier Stunden per Bus oder Auto von New York City zu erreichen. Die Busverbindung (hier gibt es eine Vielzahl von Anbietern) funktioniert gut – und während der Fahrzeit kann sich erfahrungsgemäß entweder der readings entledigt oder geschlafen werden. Da Ithaca auch einen Flughafen hat, sind Kanzleievents – interessant auch um andere deutsche LL.M.s kennen zu lernen – sehr gut erreichbar. Ansonsten sind die Flugtickets allerdings nicht gerade preiswert.

Es gibt verschiedene Spots, die mir besonders ans Herz gewachsen sind: Das wäre einmal – klassisch – der „slope“, ein Hügel in der Nähe der Law School. Das bietet sich insbesondere als sunset spot nach dem Big Red Barn (s.o.) an. Zudem findet einmal pro Jahr im Mai der „slope day“ statt, auf dem in Vergangenheit Größen wie Drake oder Steve Aoki performed haben.

Slope
Slope

Zum anderen Buttermilk Falls. Diese bieten meiner Meinung nach die schönsten Wasserfälle und eine schöne Runningstrecke (insbesondere zu empfehlen, wenn das Wetter nicht ganz perfekt ist, da sonst zu viel los ist). Schließlich können auch „first dam“ (meine Präferenz) und „second dam“ für eine Abkühlung im Sommer sorgen. Für Leute, die in CTT („Collegetown Terrace“) oder Maplewood (s.o.) wohnen ist „second dam“ auch als Komponente einer Runningstrecke interessant.

Buttermilk Falls
Buttermilk Falls
First Dam
First Dam

New York Bar Exam

Ithaca – und die Ruhe die, die Stadt ausstrahlt – ist der perfekte Ort, um sich auf das New York Bar Exam vorzubereiten. Die Bibliothek steht 24/7 zur Verfügung und kann per ID card jederzeit betreten werden. Da viele der J.D.s zuhause lernen, droht dort wirklich 0,0 Ablenkung. Die Bibliothek wird de-facto nur dir und deinen LL.M.-Kollegen gehören.

Ithaca ist weiterhin auch äußerst praktisch gelegen, da das bar exam von LL.M.s erfahrungsgemäß in den Prüfungsorten Buffalo oder Albany geschrieben wird. Plätze in NYC sind regelmäßig nicht verfügbar, da J.D.s dort priority haben. Wer das bar anstrebt, sollte auch bereits im fall semester einen der beiden obligatorischen Kurse Prof. Responsibility bzw. Legal Writing abhaken. Beide Kurse im spring semester unterzubringen, ist – da diese nicht allzu viel Freude bereiten – nicht zu empfehlen, wohl aber möglich.

Fazit

Ithaca und die Cornell Law School bieten alles, was für ein unvergessliches Jahr während eines LL.M.s wichtig ist: Eine sehr gute Lehre, ein wirklich top student body, und eine angenehme Atmosphäre inmitten der Natur!

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