„It’s up to you ...” – Erfahrungsbericht zum LL.M.-Studium an der New York University School of Law (2022/2023)

Veröffentlicht am 26.5.2023
Dr. Stefan Schäferling, LL.M. (NYU)

Im Studienjahr 2022/2023 habe ich meine LL.M.-Studium in International Legal Studies an der New York University (NYU) absolviert. Der LL.M. war für mich aufgrund meines familiären Hintergrundes vor allem ein Probelauf für Überlegungen dauerhaft in die USA auszuwandern. Wenngleich meine Ausgangssituation daher eine etwas andere war als es die der meisten Bewerber/-innen sein wird, werden meine Erfahrungen hoffentlich auch von allgemeinem Nutzen sein. 

Inhalt

Bewerbungsverfahren

Mit den Bewerbungen für verschiedene Programme und Stipendien habe ich im Sommer 2021 begonnen. Da ich an einem völkerrechtlichen Lehrstuhl promovierte und auch an einer Karriere im Völkerrecht interessiert war, stand für mich fest, dass ich mich für eine weitere Spezialisierung nur an Universitäten mit entsprechenden Schwerpunkten bewerben würde. Aus privaten Gründen war ebenfalls klar, dass es in die USA gehen sollte. Um als deutscher Jurist auf dem hart umkämpften amerikanischen und völkerrechtlichen Arbeitsmarkt bestehen zu können, sollte es außerdem eine renommierte Universität werden, die zumindest in der Nähe bedeutender potentieller Arbeitgeber im internationalen Recht gelegen ist. So konnte ich die inzwischen überwältigende Bandbreite an angebotenen LL.M.-Programmen sehr schnell auf die folgenden Law Schools eingrenzen: Columbia, Georgetown, Harvard, NYU und Yale

Trotz dieser geringen Zahl an Universitäten war der Bewerbungsaufwand erheblich. Auch wenn man Bausteine einer „Grundbewerbung“ wiederverwenden kann, lohnt es sich für die unterschiedlichen Universitäten individualisierte Bewerbungen zu schreiben, die auf die jeweiligen Schwerpunkte der Law Schools, ihre Fakultätsmitglieder und angebotenen Kurse eingehen und erklären, weshalb das jeweilige Programm besonders gut zu einem passt und inwieweit man selbst eine Bereicherung für die Universität sein würde. Dasselbe gilt für verschiedene Stipendiengeber, mit deren teils sehr verschiedenem Fokus. 

Insgesamt braucht man also bereits vor Beginn des eigentlichen LL.M.-Studiums einen langen Atem, gerade auch angesichts der oft unsinnigen Anforderungen der LSAC-Plattform, welche faktisch ein Monopol für Bewerbungen an amerikanischen Law Schools innehat. Um deren Vorgaben zu erfüllen, lohnt es sich – je nach Hilfsbereitschaft der heimischen Universitätsverwaltung – gerade mit der Erstellung von Transcripts und dergleichen besonders frühzeitig zu beginnen. 

Ausblick auf Manhattan von „The Edge“
Ausblick auf Manhattan von „The Edge“

Finanzierung und Entscheidung für ein LL.M.-Programm

Die Fristen für die meisten der genannten fünf Law Schools liegen Anfang Dezember. Meine erste Antwort erhielt ich bereits im Januar von der NYU mit einer Entscheidungsfrist bis Ende März. Da über Zulassung und Finanzierung oft getrennt entschieden wird, lohnt es sich auf jeden Fall abzuwarten, bis man auch in dieser Hinsicht Klarheit hat. Viele (große) Stipendiengeber lassen sich deutlich mehr Zeit als es für die finanzielle Planung des LL.M.-Vorhabens hilfreich wäre. Angesichts der horrenden Studiengebühren und hohen Lebenshaltungskosten in großen amerikanischen Städten lohnt es sich daher, sich im Klaren darüber zu sein, was man notfalls fähig und bereit ist, aus privaten Mitteln zu zahlen oder an Krediten aufzunehmen. Gerade wenn man die Auswahl zwischen mehreren vergleichbaren Universitäten hat, sollte man sich seine Prioritäten (Ort, Renommee der Uni, Fokus des Programms, Zugang zu bestimmten Organisationen etc.) für das LL.M.-Jahr bewusst gemacht haben, um diesen Entscheidungsprozess zu vereinfachen. 

Ich hatte das große Glück, ein Vollstipendium samt Lebenshaltungskosten von der NYU zu bekommen. Da die NYU außerdem im Völkerrecht eine der weltweit stärksten Law Schools mit zahlreichen herausragenden Professoren/-innen ist und New York mit der UN und seinen vielen internationalen Kanzleien auch eines der Zentren für Völkerrecht ist, war für mich klar, dass keine der anderen Universitäten ein besseres Gesamtpaket für mich bieten könnte, weshalb meine Entscheidung relativ einfach war. 

Spiel der „Knicks“ im „Madison Square Garden“
Spiel der „Knicks“ im „Madison Square Garden“

Studium und Law School

Das Studium an der NYU war aufwendiger als ich es mir vorgestellt hatte. Auch wenn es aus meiner Sicht akademisch weniger anspruchsvoll als ein deutsches Jurastudium ist, kann der Arbeitsaufwand abgesehen von der Examensvorbereitung je nach Kurswahl deutlich höher sein. An der NYU gibt es im Gegensatz zu anderen größeren Universitäten kaum gesonderte Veranstaltungen für LL.M.-Studierende. Die grundlegend andere Herangehensweise amerikanischer Law Schools an die Lehre und die Praxis des „cold calling“ erfordert eine detaillierte Vorbereitung auf die meisten Veranstaltungen. Das führte regelmäßig dazu, dass ich pro Woche 200–300 Seiten durchzuarbeiten hatte. Wenn man daneben noch arbeitet (z.B. als Teil einer „clinic“ oder als „research assistant“), das für die Jobsuche unerlässliche Networking betreibt und dann auch noch zumindest ein wenig Zeit für andere Dinge haben will, wird es schnell unerlässlich, die Wochen gut zu planen und dort Abstriche zu machen, wo es geht. 

Weihnachtszeit im „Washington Square Park“
Weihnachtszeit im „Washington Square Park“

Ein großer Vorteil des LL.M.-Programms der NYU ist es aus meiner Sicht, dass es das Beste aus zwei Welten vereint. Einerseits ist das gesamte Programm sehr groß (knapp 400 Personen), sodass man wirklich mit Menschen aus aller Welt in Kontakt kommt und Freundschaften rund um den Globus knüpfen kann. Andererseits bieten die verschiedenen Spezialisierungen die Vorteile eines kleineren Programms. So kommt man innerhalb der eigenen Spezialisierung mit einer deutlich kleineren Gruppe (für International Legal Studies z.B. ca. 50 Personen) in engeren Kontakt und auch in vielen kleineren Kursen entstehen interessante Diskussionen.

Die Professoren/-innen sind gerade im Bereich des Völkerrechts nahezu ausnahmslos führend auf ihrem Gebiet und über Seminare, Kolloquien oder auch durch eine Tätigkeit als „research assistant“ kommt man sehr schnell in Kontakt mit diesen. Auch wenn viele sehr beschäftigt sind und man manchmal ein oder zwei Erinnerungsmails schreiben muss, sind alle sehr am Austausch mit Studierenden interessiert und überaus hilfsbereit. 

Es ist aus meiner Sicht ratsam, bei der Zusammenstellung der Kurse darauf zu achten, dass man neben Vorlesungen auch Seminare und Colloquien besucht, da diese inhaltlich meist deutlich interessanter (aber auch arbeitsintensiver) sind. Ich würde außerdem raten, sich gut zu überlegen, ob man wirklich das Bar Exam schreiben will. Die dafür erforderlichen Kurse (etwa „Graduate Lawyering“ oder „Civil Procedure“) fand ich weitgehend wenig reizvoll und wünschte mir, ich hätte mehr Kurse frei nach meinem Interesse wählen können. Weiterhin kann ich nur empfehlen die sogenannte „add-drop-periode“, während welcher man unverbindlich Kurse testen und wechseln kann, voll auszunutzen. 

Unbedingt ans Herz legen würde ich bei entsprechendem Interesse die vielen legal clinics, für die sich auch LL.M.-Studierende bewerben können. Ich selbst hatte als Teilnehmer der UN Diplomacy Clinic etwa die Möglichkeit, als Rechtsberater eines „Small Island Developing State“ bei der UN zu arbeiten, eines der absoluten Highlights meiner Zeit in New York. 

In der Generalversammlung der UN
In der Generalversammlung der UN

Leben in New York

New York ist vermutlich einer der aufregendsten Orte, an dem man ein LL.M.-Studium machen kann. Das hat sowohl gute, als auch weniger positive Seiten. Da die positiven Seiten bekannt sein dürften (oder sich zumindest leicht recherchieren lassen), möchte ich kurz einige Schattenseiten ansprechen, die m.E. nicht immer klar benannt werden. 

Abendspaziergang in „Little Italy“
Abendspaziergang in „Little Italy“

Obwohl New York auch zahlreiche kostenlose oder vergünstigte Events bietet, ist bei vielen Aktivitäten der Kostenfaktor zu berücksichtigen. New York war schon immer sehr teuer, ist aber in vielerlei Hinsicht inzwischen nahezu unerschwinglich für Normalverdiener, geschweige denn Studierende. Ein weiterer negativer Aspekt ist die durch die Pandemie nochmals befeuerte wachsende soziale Ungleichheit, die auf den Straßen und speziell in der U-Bahn ihre deutlichen Konsequenzen zeigt. Da ich in Brooklyn lebte, bin ich fast jeden Tag mit der U-Bahn gefahren und es verging kaum eine Woche ohne unangenehme Vorkommnisse in der U-Bahn. Auch wenn viele Berichte – gerade in amerikanischen Medien – überzogen sind und ich mich selten wirklich unsicher gefühlt habe, merkt man deutlicher als noch vor einigen Jahren, welche Auswirkungen die explodierenden Lebenshaltungskosten, die enorme Ungleichheit, das fehlende soziale Netz und die Opioid-Krise in den USA haben. Auch um den Washington Square Park, dem inoffiziellen Campus der NYU, lässt sich diese Entwicklung feststellen. 

Street Art in Brooklyn
Street Art in Brooklyn

Fazit

Es gibt also sicherlich Orte, an denen ein LL.M.-Studium idyllischer und weniger nervenaufreibend ist als in der Stadt, die wirklich niemals schläft. Trotz (und teils auch wegen) dieser und anderer Herausforderungen war das vergangene Jahr für mich aber auch außerhalb der Law School ein sehr spannendes Jahr. Ich habe faszinierende Menschen aus der ganzen Welt kennenlernen, mit einigen der weltweit renommiertesten Professoren/-innen zusammenarbeiten und einmalige Kultur und herausragendes Essen genießen dürfen. Gleichzeitig habe ich vollkommen überzogene Mieten und Preise im Alltag bezahlt, viel zu wenig geschlafen und den Gehsteig vor meiner Wohnung nachts regelmäßig mit riesigen Ratten teilen müssen.

New York ist und bleibt eine Stadt der Extreme. Wenn man sich bewusst für einen LL.M. an der NYU und für ein Leben in New York mit all seinen Facetten entscheidet, wird diese Stadt einen herausfordern, begeistern, entnerven und faszinieren. Nur eines, wird sie einen definitiv nie: langweilen. „It’s up to you, New York, New York.“

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