Mr. Jefferson’s University – Erfahrungsbericht zum LL.M.-Studium an der University of Virginia School of Law (2018/2019)

Veröffentlicht am 23.1.2022

Dr. Patrick Ernst, LL.M. (Virginia)

Rechtsreferendar am LG Bonn

Ich habe meinen LL.M. im akademischen Jahr 2018/2019 an der University of Virginia (UVA) School of Law absolviert. Das LL.M.-Studium war auch rückblickend betrachtet eines der besten Jahre meines Lebens und ich bin immer noch dankbar, dass ich diese Erfahrungen machen durfte!

Inhalt

Vorab

Die University of Virginia liegt in Charlottesville, Virginia. Solltet ihr diesen Namen schon einmal gehört haben, dann wahrscheinlich im Zusammenhang mit den gewalttätigen Protesten im August 2017. Ultra-rechte Gruppen und Neo-Nazis hatten damals zu Kundgebungen gegen die Entfernung einer Bürgerskriegsstatue aufgerufen und ihre Anhänger aus allen Teilen des Landes versammelt. Es gab dabei Zusammenstöße mit Gegendemonstranten und schließlich hat einer der rechten Demonstranten sein Auto in eine Gruppe Gegendemonstranten gelenkt und eine Frau getötet.

Mir ist sehr wichtig zu betonen, dass diese Geschehnisse nichts direkt mit der Stadt oder den Einwohnern zu tun haben. Tatsächlich habe ich die Menschen in Charlottesville als herzlich, offen und freundlich erlebt. Die Ausschreitungen haben Spuren in der Stadt hinterlassen und die Menschen dort schwer getroffen. Die Gemeinschaft dort und auch die Uni tun sehr viel dafür, sich für Offenheit und Toleranz sowie gegen Ausgrenzung und Rassismus einzusetzen.

Gründe für die Wahl der Universität

Um ehrlich zu sein wusste ich noch bis einige Monate vor meiner Bewerbung nichts von der University of Virginia. Sie gehört zwar in den USA zu den besten Universitäten, ist aber international eher unbekannt. Ein ehemaliger LL.M.-Student hat mir von seinen Erfahrungen an der UVA erzählt und so mein Interesse geweckt. Ich hatte mich neben der UVA auch an der USC, der NYU und der Columbia Law School beworben, mich aber dann bewusst für ein eher kleines LL.M.-Programm entschieden.

Rotunda mit Statute von Präsident Thomas Jefferson
Rotunda mit Statute von Präsident Thomas Jefferson

Charlottesville ist eine relativ kleine Stadt, in der sich (fast) alles um die Uni dreht. Das ist im Vergleich zu den Unis in großen Städten wie New York, L.A. oder Chicago ein gigantischer Unterschied. Der Campus mit dem großen College liegt zentral in der Stadt, viele Einwohner sind auf die ein oder andere Weise mit der Uni verbunden. Die ganze Stadt fiebert im Vorfeld den wichtigen Football- und Basketballpartien entgegen; insgesamt ist vieles auf die Universität ausgerichtet und auch das soziale Leben findet vor allem auf dem Campus statt. Man bekommt dort also eine wirklich authentische amerikanische College-/Universitätserfahrung (mehr dazu unter dem Punkt „Stadt und Studienleben“), die einem an fast keiner anderen Top-Universität in den Vereinigten Staaten geboten wird.

Ebenfalls entscheidend war für mich, dass ich mir das Kursprogramm frei zusammenstellen durfte. Die UVA bietet nur einen General LL.M. an, bei dem jeder Student die Kurse nach seinem Belieben auswählen kann (mehr dazu unter dem Punkt „Studium“).

Bewerbung und Stipendien

Das Bewerbungsverfahren läuft wie bei allermeisten US-Universitäten über das Internetportal LSAC. Man sollte sich Zeit nehmen, um alle nötigen Materialien zusammenzusuchen und einzureichen (ich persönlich habe September des Vorjahres angefangen). Ab dem Absenden der Bewerbung an die UVA ist das weitere Verfahren recht unkompliziert: Etwa drei Wochen nach der Bewerbung habe ich ein Skype-Interview mit der Dean of Admission geführt. Die Zusage kam dann Anfang Februar.

An der UVA gibt es Rolling Admissions, die Bewerbungen werden also kontinuierlich bearbeitet und Zusagen auch schon vor dem Ende der Bewerbungsfrist vergeben. Kurz nach der Bewerbung gab es dann auch das (erste) Stipendienangebot der Universität. Bei der Stipendienvergabe hat sich die UVA viel Mühe gegeben, auf unsere finanziellen Bedürfnisse einzugehen und uns so weit wie möglich zu helfen. Denn allen US-Universitäten ist bewusst, dass das Studium in Deutschland gebührenfrei ist und der LL.M. daher eine bedeutende Investition darstellt. Auch an der UVA wird man realistischerweise nicht die vollen Gebühren zahlen müssen.

Ein wichtiger Tipp hierbei: Nachverhandeln! Typischerweise werden die ersten Stipendien im Februar und März an die zugelassenen Studenten vergeben. Erst im April steht für die meisten Unis jedoch fest, welche zugelassenen Bewerber sich tatsächlich einschreiben und wer sich für eine andere Law School entschieden hat. Oft werden hier Stipendienmittel wieder frei, ein Nachfragen lohnt sich daher auf jeden Fall.

Gebäude der Law School
Gebäude der Law School

Die Studiengebühren an der UVA liegen für das akademische Jahr 2022/2023 bei $ 69.500. Zusätzlich ist im Normalfall eine von der Universität angebotene Krankenversicherung erforderlich, die etwa $ 3.100 kostet. Solltet ihr ein Stipendium des DAAD bekommen, wird der DAAD eine Versicherung für euch abschließen (und bezahlen). An der UVA wird diese Versicherung anerkannt – das ist bei vielen anderen Unis nicht der Fall. Auch hier ein Tipp: Eine Kommilitonin hatte in Deutschland eine Auslandskrankenversicherung für einige hundert Euro abgeschlossen. Auch diese wurde von der UVA akzeptiert, sodass sie die deutlich teurere Versicherung der Uni nicht benötigt hat.

Studium

Wie bereits erwähnt bietet die Universität einen General LL.M. ohne vorher festgelegte Profile an. Die Studenten können ihre Kurse dann selbstständig aussuchen, lediglich ein Kurs in Legal Research and Writing ist für alle LL.M.s Pflicht. Die Kurse besucht man zusammen mit den amerikanischen J.D.-Studenten, wodurch man viele der Kommilitonen kennen lernt.

Ich persönlich habe mich vor allem auf Gesellschafts-, Kapitalmarkt- und Insolvenzrecht spezialisiert. In meinem Jahr wurden insgesamt etwa 300 Seminare und Kurse angeboten (darunter auch Exoten wie Baseball Law), weshalb es eigentlich unmöglich ist, alles Interessante zu belegen. Die Vorlesungen sind recht klein, meine Kapitalmarktrechtsvorlesung hatte z.B. nur 14 Studenten. Nur die Erstsemesterkurse, etwa zum Vertrags- und Deliktsrecht, sind mit ca. 60 Teilnehmern größer. Die „Qualität“ der Professoren und auch der Kommilitonen ist durchgehend sehr hoch. Speziell in den kleineren Seminar-Kursen konnte ich unglaublich viele neue Dinge lernen. Durch das große Netzwerk der Uni können dabei vor allem praxisnahe Kurse angeboten werden (2021 z.B. mit dem ehemaligen FBI-Direktor und Trump-Sonderermittler Robert Mueller). So gab es in meinem Semester gleich mehrere Kurse von einigen der Top-Transaktionsanwälten der USA. Persönlich wird mir vor allem das Seminar Team Management and Leadership in Erinnerung bleiben, das von Jim Donovan, einem der führenden Banker bei Goldman Sachs, gehalten wurde.

Besonders groß ist das Angebot der UVA in den Bereichen Internationales Recht, Verfassungsrecht oder Social Justice. Auch LL.M.-Studenten können hier in den Clinics mitarbeiten, die teilweise auch internationale Projekte betreuen. Zudem hat die Uni viele herausragende Professoren, Seminare und Institute zu bieten.

Gebäude der Law School
Gebäude der Law School

Eine Besonderheit an der UVA ist die sehr familiäre Atmosphäre, die an der Law School herrscht. Alle Professoren kannten die Studenten mit Vornamen und bieten durchweg Office Hours an, die auch vielfach genutzt werden. Einige Studenten sind sogar wöchentlich zu ihren Professoren gegangen, um Fragen aus der Vorlesung zu klären oder sich anderweitig helfen zu lassen.

Das Leben an der Universität wird stark von dem sog. Honor Code beeinflusst. Dies ist ein Regelwerk, das sich die Studentenschaft dort selbst vorgibt (Kurfassung: „Don’t cheat, don’t lie, don’t steal“) und durchsetzt. Dieser Code wird sehr ernst genommen. Man kann seinen neuen Laptop bedenkenlos an irgendeinem Platz in der Uni zurücklassen und kann darauf vertrauen, dass er nicht gestohlen wird. Eine kleine Anekdote dazu: Es ist nicht erlaubt, Taschen mit in die Sportstadien zu nehmen. Wenn man sich zwischen den Vorlesungen ein Fußballspiel ansehen will, stellen viele ihre Rucksäcke einfach vor das Stadion auf eine Mauer.

Der Honor Code hat auch Einfluss auf die Abschlussklausuren. Für diese gibt es am Ende jedes Semesters ein Zeitfenster von etwa zwei Wochen. Wann genau man welche Klausur schreibt, kann man sich selbst aussuchen. Letzten Endes wird man also am letzten Tag der Klausurphase denselben Test schreiben wie der Kommilitone, der die Klausur schon seit zwei Wochen hinter sich hat. Das erlaubt es, die Lernphasen und Klausurtermine individuell zu planen und an seine (Ferien‑)Pläne anzupassen. Aufgrund des Honor Codes vertraut die Uni darauf, dass untereinander bis zum Ende der Klausurphasen nicht über die Tests geredet wird – nach meiner Erfahrung wird dies auch streng eingehalten.

Lernraum in der benachbarten Darden Business School
Lernraum in der benachbarten Darden Business School

Stadt und Studienleben

Charlottesville ist eine klassische amerikanische Universitätsstadt. Auf etwa 50.000 Einwohner kommen 30.000 Studierende.

Ein Grund für eine Entscheidung für die UVA war auch die kleine LL.M.-Klasse. In meinem Jahrgang waren wir nur 28 LL.M.s, im Normalfall sind es etwa 40–50. Dadurch lernt man all seine Kommilitonen sehr nahe kennen und kommt gleichzeitig nicht in die Gefahr, das Jahr in einer „deutschen Blase“ mit den anderen Studenten aus Deutschland zu verbringen. Ich bin überzeugt davon, dass ich das Land und die amerikanischen J.D.-Studenten andernfalls nicht so gut kennen gelernt hätte.

Das Studentenleben findet meist auf dem Campus statt. An der Law School gibt es eine Vielzahl von Studentenorganisationen für soziale, sportliche oder sonstige Aktivitäten. Manche davon sind rechtlich, manche politisch oder gesellschaftlich ausgerichtet und andere rein zur Freizeit (z.B. Hiking Society, Wine Society, Soccer, Softball). Auch das Nachtleben ist sehr studentisch geprägt. Meistens wird man sich früher oder später an der Corner wiederfinden, einer kleinen Bar-Meile direkt am Hauptcampus. Daneben gibt es auch in der Innenstadt Charlottesvilles einige sehr gute Bars (darunter Rooftop-Bars, eine Jazz- und eine Country-Bar, mindestens zwei geheime Cocktailbars), Discos aber eher weniger.

In der Freizeit bietet es sich ansonsten an, die vielen Weingüter und Brauereien in der Umgebung zu erkunden. Der Wein in Virginia ist zwar nicht wirklich eine Offenbarung, aber die Weingüter selbst sind alle sehr schön aufgemacht und auf jeden Fall einen Trip wert. Einen Besuch wert ist auf jeden Fall Monticello, das Wohnhaus von Präsident Thomas Jefferson, dem Gründer der UVA. Ansonsten liegt Charlottesville am Fuß der Blue Ridge Mountains und dem Shenandoah National Park. Wenn ihr Natur oder Wandern mögt, seid ihr hier richtig!

Humpback Rock in den Blue Ridge Mountains
Humpback Rock in den Blue Ridge Mountains

Die University of Virginia hat auch ein recht gutes Sportprogramm. Das Football-Team spielt in der höchsten Spielklasse, die Baseball- und Basketball-Mannschaften gehören zu den besten in den Vereinigten Staaten.

Scott Stadium
Scott Stadium

Als Student hat man zu allen Sportveranstaltungen immer freien Eintritt, während die Basketball-Tickets für Topspiele im freien Verkauf auch schon mal $ 1.000 kosten können. Auch wenn ihr nicht auf Football, Basketball etc. stehen solltet, würde ich dringend empfehlen, zumindest einmal zu meinem Match zu gehen. Die gesamte Atmosphäre um das Spiel herum ist einmalig und schon für sich ein Erlebnis. Mein persönliches Highlight war, als die Basketballer im April 2019 (also gegen Ende meines Studienjahres) die nationale Basketballmeisterschaft (March Madness) gewonnen haben. Das hat die gesamte Stadt komplett auf den Kopf gestellt😊.

John Paul Jones (JPJ) Arena
John Paul Jones (JPJ) Arena

Fazit

Der LL.M. war für mich in jeder Hinsicht unvergesslich. Nicht nur dass ich fachlich sehr viel lernen konnte. Ich habe vor allem im persönlichen Bereich viele prägende Eindrücke gewinnen und Freundschaften schließen können. Für alle, die das echte Amerika und das Studentenleben abseits der Metropolen kennenlernen möchten, ist die University of Virginia definitiv eine hervorragende Wahl! Auch aufgrund der wunderschönen Stadt und der gemeinschaftlichen, familiären Atmosphäre an der Law School kann ich einen LL.M. an der UVA unbedingt empfehlen.

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