Kathedralen des Wissens – Erfahrungsbericht zum LL.M.-Studium an der Yale Law School (2018/2019)
Den LL.M. in den USA habe ich aufgrund meiner doppelten deutsch-amerikanischen Staatsbürgerschaft von Beginn des Jurastudiums an geplant. Als ich dann im Studium den Aufsatz „Legal Education as Training for Hierarchy” von Harvard-Professor Duncan Kennedy gelesen habe, hat sich der Wunsch, an der Quelle dieses kritischen Denkens über Recht und Rechtsausbildung zu lernen, immer weiter verfestigt.
Über die Jahre des Studiums in Deutschland hinweg habe ich immer wieder Law Schools und Stipendien gegoogelt und von einem LL.M.-Aufenthalt geträumt. Während der zehrenden Examensvorbereitung war es der Gedanke an den bald möglichen LL.M., der mich angetrieben hat.
Inhalt
Die Bewerbungsphase
Zunächst hatte ich erwogen, mich direkt nach dem ersten Examen für den LL.M. zu bewerben, doch hatte ich zu dem Zeitpunkt noch kein klares Forschungsprofil und keine konkrete Forschungsfrage, die ich in den USA vertiefen wollte. Deshalb habe ich zunächst eine Doktorarbeit begonnen, dort bewusst ein internationales Thema („KI zur Kriminalitätsvorhersage“) gewählt und die LL.M.-Bewerbung dann im zweiten Jahr der Promotion in Angriff genommen. Während der ersten Monate der Doktorarbeit habe ich – auch mit Blick auf die geplante LL.M.-Bewerbung – bewusst an der Schärfung meines Forschungsprofils gearbeitet: Aufsätze publiziert und auf (inter-)nationalen Konferenzen vorgetragen.
Die eigentliche Bewerbung habe ich 12 Monate vor Einsendeschluss begonnen. So viel Zeit einzuplanen ist wichtig, da es bei der Bewerbung (Übermittlung aller Zeugnisse und Gutachten an die zentrale Dokumentensammelstelle LSAC; evtl. nötige Wiederholung des TOEFL etc.) häufig zu unerwarteten Verzögerungen kommt, die ohne Zeitpuffer nicht aufgefangen werden können. Auch ist zu beachten, dass zwar die Universitätsdeadlines für den LL.M. in der Regel in den Dezember bis Februar fallen, die Bewerbungsfristen für Stipendien aber deutlich davor liegen können.
Die größte Aufmerksamkeit habe ich dem Schreiben der zwei Bewerbungsessays (Personal Essay und Academic Essay) gewidmet. Dabei ist es wichtig, nicht nur so konkret wie möglich – unter Nennung der relevanten Professor:innen und ihrer Arbeiten vor Ort – zu beschreiben, was man selbst in den USA lernen möchte, sondern auch was man selbst zur Law School Community beitragen wird. Es reicht dabei nicht aus, lediglich anzugeben, seinen „Horizont erweitern“ zu wollen, oder die eigenen Erfolge schlicht aufzulisten. Es muss für den Essay vielmehr ein Narrativ, eine Geschichte entwickelt werden, die die Leser:innen begeistert und mitnimmt. Die einzelnen Lebensstationen müssen zueinander in Beziehung gesetzt werden und in ein größeres Ganzes, wie man sich mit seiner Arbeit in die Gesellschaft einbringen möchte, eingeordnet werden (siehe zur Inspiration z.B. das Buch „How to Tell a Story: The Essential Guide to Memorable Storytelling”).
Ich habe mich insgesamt bei 5 Universitäten beworben (Yale, Harvard, Columbia, NYU, Stanford). Ich habe überall die nahezu gleichen Bewerbungsunterlagen eingereicht, die Essays aber jeweils auf die Universitäten zugeschnitten. Als ich Zusagen der Universitäten hatte (Yale ruft sogar an!), habe ich mich für Yale entschieden, da die Universität besonders für ihren wissenschaftlichen Fokus bekannt ist, und ich zu diesem Zeitpunkt schon wusste, dass ich gerne in der Wissenschaft bleiben möchte.
Finanziert habe ich den LL.M. durch ERP- und DAAD-Stipendien sowie Law School Tuition Waiver. Alle meine Studiengebühren und Wohnkosten wurden dadurch abgedeckt. Nicht jede US-Universität ist jedoch mit Blick auf den Waiver so entgegenkommend wie Yale. Bei anderen Universitäten muss man u.U. damit rechnen, dass selbst mit Stipendien nicht alles abgedeckt wird (weitere Stipendien-Infos z.B. hier).
Das Akademische
Das LL.M.-Programm der Yale Law School ist im US-weiten Vergleich mit ca. 25 Teilnehmer:innen recht klein. Es ist – wie bereits erwähnt – besonders auf die Förderung von Studierenden, die in der Wissenschaft bleiben wollen, zugeschnitten.
Man hat in Yale nicht die gleiche Fülle an Vorlesungen wie etwa in Harvard oder an der Columbia und einige Vorlesungen sind hier den amerikanischen J.D.-Studierenden vorbehalten. Trotzdem gibt es genug Auswahl, sodass für jedes Interesse etwas dabei sein sollte.
Ich habe mich dafür entschieden, meine LL.M.-Credits u.a. damit abzudecken, „supervised research“ (in Harvard „independent writing” genannt) zu belegen, d.h. ganz ohne Vorlesung bei einem/einer Professor:in ein Paper (20–40 Seiten) zu einem selbstgewählten Thema zu verfassen. Ich habe dafür bewusst Themen meiner Doktorarbeit gewählt und konnte so zwei ganze Kapitel dieser Arbeit in den USA vorbereiten. Andere Studierende haben ihre Ergebnisse später in einem amerikanischen Law Journal veröffentlicht.
Die Universität hat zudem viele Forschungsinstitute, an denen man sich engagieren kann. Ich war Resident Fellow am auf Technologie & Recht spezialisierten Information Society Project mit wöchentlichen Vorträgen und Writing Workshops. Weitere Projekte der Universität, die mich begeistert haben, sind z.B. das wegweisende LPE-Project zu Law and Political Economy.
Allgemein habe ich in den USA eine neue Art erfahren, über Recht nachzudenken. Ich habe durch das kritische Nachfragen meiner Professor:innen gelernt, Gedanken zuzulassen und auszuformulieren, die ich in Deutschland schnell verworfen hätte, da sie z.B. zu weit von Dogmatik weggeführt hätten. In Yale wurde hingegen ein besonders starker Fokus auf Interdisziplinarität im juristischen Denken gelegt. Einige Professor:innen der Law School sind sogar selbst gar keine Jurist:innen, so etwa der Psychologe Professor Tom Tyler, der mein Supervised-Research-Projekt betreute. Nicht umsonst gelten die USA als Geburtsort zahlreicher „Law and”-Bewegungen (Law and Society, Law and Economics etc.).
Das Leben in New Haven
Die Yale University hat ihren Sitz in New Haven, einer 130.000-Einwohnerstadt an der Ostküste auf halber Strecke zwischen NYC und Boston. Beide Städte sind in etwa 2,5 Stunden mit dem Zug zu erreichen; perfekt für Wochenendausflüge. Der Universitätscampus selbst liegt nicht am Meer, mit dem Bus gelangt man aber schnell an Hafen und Strand.
Gewohnt habe ich direkt neben der Law School im neu eröffneten Law School Housing Baker Hall. Private Unterkünfte, z.B. im etwas weiter entfernten Stadtteil East Rock, sind ebenfalls eine gute Alternative.
Das Mensaessen der Law School ist nicht zu empfehlen. Nahezu jeden Tag gibt es jedoch die wunderbare Tradition der von gratis Mittagessen begleiteten Lunch Lectures mit Catering durch umliegende Restaurants.
Gearbeitet habe ich am liebsten neben dem Aquarium der Yale Law Library oder in der neo-gotischen, im Stil einer riesigen Kathedrale errichteten Bass Library.
New Haven bietet deutlich weniger Ablenkungen als NYC. Gleichzeitig weist die Stadt aber mit seinen Museen (u.a. Yale University Art Gallery, Yale Center for British Art, Peabody Museum) und Theatern (u.a. Yale Cabaret) ein beachtliches kulturelles Programm auf. Gemeinsam mit den zahlreichen Vorträgen und Abendveranstaltungen, die an den verschiedenen Fakultäten regelmäßig angeboten werden, hatte ich dann nahezu jeden Tag ein so volles Programm, dass ich es meist gar nicht zu allen Veranstaltungen, die ich mir vorgenommen hatte, geschafft habe. Die besten Freundschaften habe ich tatsächlich auch außerhalb der Law School, z.B. an der Architektur-Fakultät, geknüpft. Also: Langweilig wird es in New Haven auch außerhalb der Law School nicht und es lohnt sich, die Stadt auch jenseits des wunderbar idyllischen Law School Court Yard zu erkunden. Insbesondere zu empfehlen sind:
- Best Evening Talks: Yale School of Architecture & Yale School of Art
- Best Pizza: BAR
- Best Dinner: Barcelona
- Best Roof Top Bar: High George
- Best Breakfast: Atticus Bookstore Cafe
Fazit
Yale bietet die Möglichkeit, in kleinen Gruppen, in engem Austausch mit Professor:innen und in wunderschöner Architektur, die dazu einlädt die hohen Räume mit eigenen großen Gedanken zu füllen, sich ganz in ein selbstgewähltes Thema zu vertiefen.
Ich kann mir meine wissenschaftliche Forschung heute ohne die Erfahrung in den USA nicht mehr vorstellen und ich kehre regelmäßig zu Autor:innen und ihren Argumenten zurück, mit denen ich erstmals im LL.M.-Studium vertraut gemacht wurde.
Auch schreibe ich es meiner Zeit in Yale und ihrer Interdisziplinarität zu, dass ich heute mein Interesse an Kunst nicht länger als völlig getrennt vom Recht denke und seit meiner Rückkehr aus den USA verschiedene Projekte an der Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft angestoßen habe.
Für Nachfragen zu Yale stehe ich immer gerne zur Verfügung.
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